Die Zeit eilt dahin. Sind wirklich mehr als 7 Jahrzehnte vergangen, seit Johannes Preisig, Vater von Hans und Grossvater von Hansueli, die «Milchzentrale an der Steingass» in Pacht übernahm? Ein beherztes Unterfangen in jenen Tagen, wo rings um unser Land der 2. Weltkrieg tobte. Das bedeutete sieben Tage Arbeit. Nach dem Krieg ging es dann stetig aufwärts. Aus der «Molki» wurde ein «Kolonialwarengeschäft», und aus diesem 1978 das Spezialitätengeschäft «Preisig Käse & Wein seit 1942».
Dazwischen liegen Jahre voller Ereignisse und Erinnerungen. Es sind Wegmarken in einer engagierten Familiengeschichte über nunmehr drei Generationen. Wer möchte, kann in der folgenden Chronik ein paar Augenblicke verweilen und zurückblättern.
1942 bringen die Bauern die kuhwarme Milch noch täglich selbst in die «Hütte» / Milchzentrale, wo sie gewogen, gefiltert und gekühlt wird. Der Begriff «Milchzentrale» lässt bereits deren Vormachtstellung erahnen: als Ergebnis der Verknappung von Frischmilch während des 1. Weltkrieges übertrug der Bund den regionalen Milchverbänden die alleinige Versorgungskompetenz und damit grossen Einfluss. Eine Situation, die bis in die 1990er Jahre erhalten blieb.
Gekauft wird die Milch nämlich vom Milchverband, der die Bauern auch bezahlt. Als «Milchmann» kauft Hans Preisig senior dann dem Verband die Milch ab. Er stellt in eigener Produktion daraus Rahm, Butter und Joghurt her und fährt an 7 Tagen pro Woche auf Milchtour durch den westlichen Teil von Richterswil, das in vier «Milchrayons» aufgeteilt ist. Der Milchmann ist verpflichtet, jeder Familie in seinem Rayon täglich frische Milch zu liefern. Hans Preisig macht dies mit dem Handwagen, vor den er seinen Bernhardinerhund «Barry» gespannt hat. Den Verkauf in der «Hütte» übernimmt derweil seine Frau Hedi. Ein Liter Milch kostet damals um die 35 Rappen.
1943 kommt Tochter Ruth und 1945 Tochter Hedy zur Welt.
Ab 1946 sammelt dann Hans Preisig die Milch täglich auf 11 Bauernhöfen ein, noch immer im Auftrag des Milchverbandes. Die überschüssige Milch wird jeden Abend bis 20 Uhr in 40 Liter-Kannen zum Bahnhof auf den Milchzug gebracht und mit diesem in die Verbandsmolkerei Zürich transportiert. Den schweren und weitläufigen Job im Dorf übernimmt nun anstelle von «Barry» das schwarze Pony «Bobby». Neben Frischmilch werden Eier, Käse und selbstgemachte Joghurts verkauft. Auch Hedi Preisig geht täglich mit dem Handwagen auf ihre kleine Milchtour.
1949 werden Hans und Hedi Preisig von Pächtern zu Eigentümern. Sie kaufen das Haus mit der «Hütte».
Aus der Milchhütte wird 1950 ein Kolonialwarengeschäft, das an 7 Tagen pro Woche geöffnet ist. Ab 1953 gehören die Fuchsstute «Lotti» und der Milchmann zum Dorfbild. Wenn im Winter allzu viel Schnee fällt, wird der Wagen durch einen Schlitten ersetzt.
1954 kommt Sohn Hans Heinrich zur Welt. Auch er würde eigentlich, wie üblich, nach dem sonntäglichen Gottesdienst getauft. Aber sein Vater ist am Sonntag noch immer auf der Milchtour. So macht der Pfarrer halt eine Ausnahme und tauft klein Hansli ganz privat kurz vor dem Mittagessen.
Die Nachbarsbäckerei Stierli schliesst. Preisigs verkaufen darum neu auch Brot aus der Bäckerei Baggenstoss, was in der damaligen Zeit ungewöhnlich ist. Mitte der 6o-er Jahre kommt erstmals pasteurisierte Milch in den Verkauf. Ihre längere Haltbarkeit macht die täglich frische Milchlieferung bald unnötig.
Preisigs stellen 1964 vorerst einmal die sonntägliche Milchtour ein und gehen zur 6-Tage-Woche über.
Für Hans beginnen die Lehr- und Wanderjahre. Gleichzeitig setzt er sich dafür ein, dass der historische Rebberg «Wandflue» wieder mit Reben bepflanzt wird. Bereits im 1978 kann der Jungfernwein von der «Wandflue» abgefüllt werden. In diese Zeit fallen auch die Weinbau-«Stages» im Burgund und Bordeaux, wo Hans junior neben der Ausbildung auch Kontakte für sein zukünftiges Geschäft knüpfen kann.
1978 übernehmen Hans junior und seine Frau Christine das Geschäft, das nun «Preisig Käse & Wein seit 1942» heisst. Der Laden wird umgebaut. Hans Preisig senior setzt seine allmorgendliche Milchtour mit Lotti noch bis 1981 fort. Zusätzlich gibt es nun dreimal wöchentlich eine Hausliefertour für Frischprodukte mit dem Lieferwagen.
1979 tritt Hans der Feuerwehr, Pikett Richterswil bei und muss, als Ironie des Schicksals, 1984 mithelfen, sein eigenes Haus zu löschen.
Die enge Zusammenarbeit mit Landwirten aus der Region, unter anderem mit Landwirt Blum, nimmt ihren Anfang. Im Laden werden damit neu auch Frischprodukte aus der Umgebung angeboten.
1981 geht das treue «Lotti» auf seine letzte Milchtour. Fortan fahren Vater und Sohn zeitgemäss mit dem Lieferwagen, und dies nur noch am Montag, Mittwoch und Freitag.
1984 zerstört bei Ausbauarbeiten ein Brand den Laden und die Wohnungen im Haus. Der Laden wird vergrössert, und ein neuer Weinkeller wird eingerichtet.
1986 kommt Sohn Hansueli als Stammhalter in dritter Generation zur Welt.
Bei der Volkswirtschaftsdirektion des Kantons wird 1990 der Antrag zur Rebenpflanzung im «Hirtenstall» bei der katholischen Kirche eingereicht. Ohne zu grosse Formalitäten wird dies bewilligt.
1991 verhandelt Hans Preisig unerschrocken mit Bundesstellen und dem Milchverband, weil er seine Milch direkt vom Bauer Blum vom Hof «Froh Ussicht» beziehen will. Noch immer hat der Bund die alleinige Versorgungskompetenz über die Milch.
Zur Illustration hier Auszüge aus einem Brief des Direktors des Bundesamtes für Landwirtschaft, J.C. Piot, vom 12. Februar 1991: … «Der saisongerechte Einkauf von Frischprodukten aus der Umgebung stellt eine wichtige Unterstützung für unsere Landwirtschaft dar. Mit ihrem Einkauf leisten die KonsumentenInnen erst noch einen Dienst an die Umwelt, kann doch auf lange Transportwege und teure Verpackungen verzichtet werden» … «Sie sprechen mir aus dem Herzen, wenn Sie schreiben, dass die Landwirte wieder stärker als Unternehmer denken sollten …»
1992 kann 50 Jahre «Preisig Käse & Wein seit 1942» gefeiert werden. Zum Jubiläum erscheint das Kinderbuch «Vom Lotti und vom Milchmann», das aus früheren Tagen erzählt.
Von Hans Preisig massgeblich unterstützt, wird 1993 in Richterswil das Komitee «Ja zur Paracelsus-Klinik» gegründet.
Die vierjährigen zähen Verhandlungen auf Bundesebene finden 1994 endlich einen erfolgreichen Abschluss. Die Landwirte werden wieder vermehrt zu selbständigen Unternehmern, die Milch darf nun direkt vom Hof in den Laden. Der Anzeiger vom Zürichsee schreibt am 5. November 1994: «Von der Kuh zum Ladentisch – ohne Umwege». Fortan spriessen die Hofläden wie Pilze aus dem Boden.
In diese Zeit fällt auch die Auflösung der Käseunion. Dazu ein Zitat aus Wikipedia: Seit 1914 war die Schweizerische Käseunion eine Marketing- und Handelsorganisation, die den Absatz von Hartkäsesorten förderte. Zu diesem Zweck kaufte die Käseunion die gesamte Produktion auf und vertrieb diese zu den vom Bundesrat festgesetzten Preisen.
Endlich können sich die Käsereien entfalten. Das Ergebnis ist erfreulich: Heute ist die Schweiz ein wahrer Tresor von Käsespezialitäten.
1997 wird nach engagierter Vorarbeit der Kultur- und Weinkeller im Dorf eröffnet. Es wird eine Erfolgsgeschichte. Organisiert von der Gemeindebibliothek, und dank dem grossen Engagement von Hardy Ruoss, finden viel beachtete Kulturveranstaltungen und Lesungen der bekanntesten Schriftsteller statt. Charlotte Kerr, die Witwe von Friedrich Dürrenmatt und Urs Widmer waren hier, Thomas Hürlimann, Franz Hohler, Lukas Hartmann (der Mann von Bunderätin Simonetta Sommaruga) und viele mehr. Einheimische, wie der Richterswiler Historiker H.P Treichler oder der Literaturförderer Hardy Ruoss, präsentieren hier Interessantes aus ihrem Schaffen. Ganz im Sinne des Namens findet dabei auch die gepflegte Weinkultur ihre verdienten Bewunderer.
Während des Jahres 1999 tagt das Komitee «S’Läbe im Dorf!» Man macht sich Gedanken über die Zukunft des Dorfes. Man will kein Dorf ohne Beck, Metzger, Drogerie, Papeterie usw. Auch über den Seeuferweg verhandelt man, das FONTÄNE-Projekt wird erläutert und vieles mehr.
2000 – das Milleniumsjahr bewegt die Gemüter. Globaler Computerabsturz und Weltuntergang bleiben aus. Stattdessen macht sich ein neuer Stern bereit, am Richterswiler Himmel aufzusteigen. Preisigs haben eine Idee. In den Weinbergen der Traubensorten Müller Thurgau, Räuschling, Pinot Noir und Garanoir munkeln die Trauben. Es kündigt sich etwas Besonderes an …
Die dritte Generation macht von sich reden.
Hansueli Preisig ist zu Beginn des Jahrtausends schon auf dem besten Weg, in die Fussstapfen von Vater und Grossvater zu treten.
2001 Hansueli beginnt seine Lehre als Weintechnologe bei Agroscope ACW in Wädenswil, die er 2004 abschliesst. In diesem Jahr ist er zudem Mitglied des Regatta-Teams Richterswil/Wädenswil und bringt es bis an die Junioren Weltmeisterschaft im Rudern.
2002 Hansueli keltert in der Agroscope ACW Wädenswil den ersten Wein: Wädenswiler Clevner und Wädenswiler Riesling-Sylvaner Weitere Studien und interessante Projekte schliessen sich an: 2005 Abschluss der Berufsmaturität an der BMS in Landquart; 2006-2009 Studium zum Bachelor in Life Science in Lebensmittel- und Getränketechnologie an der ZHAW in Wädenswil; 2010 Chef Getränke und Chef de Service in der VIP-Lounge des Schweizer Pavillons an der Weltausstellung in Shanghai, China; 2011 Die kreativen Käsebuffets von «Jumi» sind zurzeit gefragt: am WEF, White Turf, an ATP Tournaments, Champions League Finals … Hansueli baut für «Jumi», die beiden Jungunternehmer vom Münstergass-Märit in Bern, die Präsenz in London auf, geht auf die renommiertesten Märkte und beliefert einige der besten Restaurants der Weltstadt; 2013 Gründung der Makoto-T GmbH zur Vermarktung von Makoto-T (ein Durstlöscher aus Grüntee, Zitronengras, Ingwer und Limettensaft), gemeinsam mit zwei Kollegen.
Aber erst mal wieder der Reihe nach. Das Jahr 2003 ist für die Reben ein aussergewöhnliches. Auf diese Weine kann man sich freuen. Der angekündigte Stern am Richterswiler Himmel ist nun schon etwas deutlicher zu sehen …
Hansueli Preisig ist in seinem dritten Lehrjahr. Aber wie ein alter Hase keltert er vier prächtige 2003er Weine: den Étoile Blanche de Richterswil, den Étoile Rouge de Richterswil sowie zwei auserlesene Barriqueweine, einen Räuschling und einen Pinot Noir. Nach Meinung der Experten sind es Jahrhundertweine, die besten seit 1947. Die Sterne funkeln …
Zum 50. Geburtstag leistet sich Hans Preisig das schmucke kleine Buch «Jahrhundertweine von 1336 bis heute». Nebst vielen historischen Trouvaillen aus der Gegend, festgehalten von Hans Peter Treichler und Rudolf Schneider, kommen auch die besagten Weine nochmals schwarz auf weiss zur Geltung.
Im Laden nimmt 2006 eine weitere Erfolgsgeschichte ihren Anfang. Christine Preisig hat eine einzigartige Fertigfondue-Mischung entwickelt. Kundinnen und Kunden sind vom Inhalt der Kunststoffdose hell begeistert.
Hans Preisig wird in jenen Jahren, nicht zuletzt auch in den entsprechenden Medien, als «Käse-Scout» und begehrter Juror an nationalen und internationalen Käseprämierungen bekannt. Ab 2006 beginnen dann auch seine inzwischen legendären Käsebuffets an ungewöhnlichen Anlässen im In- und Ausland Geschichte zu schreiben. Ob auf dem Jungfraujoch oder in der Mutthornhütte, im Renaissance Tower Zürich oder im Hotel Belvédère in Scuol, ob in Frankfurt, Essen oder Köln – wo immer Hans seine Käse-Ideen inszeniert, werden sie begeistert aufgenommen.
2007 feiert die Schweizerische Nationalbank SNB ihr 100jähriges Bestehen. Preisigs bekommen den Auftrag, dafür einen Jubiläumswein zu kreieren. Die Bedingungen sind herausfordernd: eine welsche und eine deutschschweizerische Variante, beide Jahrgang 2007, d.h. die Traube wächst und wird im gleichen Jahr zum Wein. Ebenfalls die Etikette und der Zapfen tragen Jahrgang 2007. Kurz vor Weihnachten erhalten alle Mitarbeitenden die beiden 2007er Jubiläumsweine. Die eine oder andere schlaflose Nacht gehört bei so etwas Wichtigem wohl dazu. Aber es klappt alles.
2008 ist Hans Preisig Mitbegründer des Lehrgangs «Sommelier Maître Fromager» am Institut «Die Weinausbildung GmbH», wo er seither auch selbst unterrichtet.
Zwischen 2010 und heute wird das Raclettekäse-Sortiment auf nicht weniger als 25 Sorten ausgebaut. Darunter sind auch 10 Rohmilch-Raclettekäse, von Jumi AG auf Anstoss von Hans entwickelt. Der Raclettekäse-Umsatz steigt kontinuierlich. Erfreulicherweise schätzen immer mehr junge Leute diese grosse Auswahl.
Im Sommer 2011 ist dann Kurt Aeschbacher im Rahmen seiner Sendung «Sommerjob» bei Hans Preisig beschäftigt. Das ist für ihn etwas anstrengend, für die Preisigs sehr unterhaltsam, und Preisig Käse und Wein ist einmal mehr für kurze Zeit in aller Munde …
Diese schönen Erfolge verdankt «Preisig Käse & Wein seit 1942» auch seinen langjährigen, sehr engagierten und tüchtigen Mitarbeitenden. Seit einigen Jahren haben Studenten von der ZHAW (Abt. Lebensmittel) Gelegenheit, in Teilzeiteinsätzen mitzuarbeiten, um auch die Praxis und den Verkauf hautnah zu erleben.
Bald steht die nächste Ablösung ins Haus: Ende 2016 will Hansueli ins elterliche Geschäft einsteigen.
Und Christine und Hans freuen sich auf die Zeit, wo sie einen Schritt zurücktreten und endlich etwas mehr auf Entdeckungsreisen gehen können. Zu neuen Ufern, ausgesuchten Produkten und besonderen Menschen.
Richterswil, im Sommer 2014